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Das Aarennest

 Das Aarennest, KI generiertes SymbolbildDer Landgraf Ludwig VüI. von Hessen (1738-1768) war ein gewaltiger Jäger.
Jedes Jahr, wenn der Laubwald sein buntes Herbstkleid anlegte, erschien er mit seinem Gefolge auf Schloß Katzenbach. Dann hallten ringsrum die Berge wieder von Büchsenknall, Rüdengeläute und Treiberlärm.

Nur eins störte die Jagdfreude des Landgrafen: "Das Aarennest".
Den Engelbacher Gemeindewald hätte er gar zu gern als Eigentum erworben um sein Revier zu vergrößern, das ohnehin durch die Besitzungen seiner kurhessischen Vettern stark beeinträchtig wurde. Aber die Dorfväter von Engelbach hatten den angebotenen Kaufpreis schon mehrmals abgeschlagen.

Da geschah es, dass der Engelbacher Schäfer zur Frühlingszeit einen Adler überwältigte, der ihm aus seiner Herde ein Lamm geschlagen hatte, um es dem nahen Horste zuzutragen. Darob großer Jubel im ganzen Dorf.
Was nun mit dem lebenden Raubvogel anfangen? Lange ratschlagte man hin und her. Endlich einigte man sich dahin, den König der Vögel dem Landgrafen zu überbringen, der ein Freund war von allerlei seltenen Getier. Vielleicht würde er dann in Zukunft weniger ungnädig auf seine Untertanen in Engelbach blicken. Gesagt - getan.

Der Schultheiß in Begleitung des wackeren Schafhirten und eines Gemeindemannes machten sich auf den Weg und standen nach zwei Tagesreisen vor dem Landherren im Schloß zu Darmstadt.Der war hocherfreut über die Gabe und sagte: "Den Vogel habt ihr mir gegeben, nun möchte ich das Nest dazu haben". Gern sagten die Abgesandten dies zu. "Brav ihr lieben Leute", rief Ludwig jetzt, "den Aar schenkt ihr mir und das Nest dazu. Fortan also ist das Aarennest mein." 

Unter dem Gelächter der Hofleute zogen die Engelbacher kleinmütig ab und wurden von ihren Mitbürgern ob ihrer Dummheit gar übel empfangen. Seitdem ist das Aarennest herrschaftlicher Besitz.

(Aus. Georg Zitzer: "Mein Hinterland", 1925)